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Vorwort

Von der Kreispflegeplanung zur kommunalen Seniorenpolitik - Eine Zukunftsaufgabe

Beginnend mit der Einführung der Pflegeversicherung im Jahre 1995 hat sich die Pflegelandschaft in Deutschland grundlegend gewandelt. Die pflegerische Versorgung der Bevölkerung sollte sich durch den freien Markt regeln und viele neue gemeinnützige und kommerzielle Akteure sind hinzugekommen.
Gleichzeitig tragen die Kommunen im Rahmen der Daseinsfürsorge aber weiterhin die gesetzliche Verantwortung für eine an den örtlichen Bedürfnissen orientierte, leistungsfähige, regional gegliederte, wohnortnahe und aufeinander abgestimmte ambulante und stationäre pflegerische Versorgung der Bevölkerung. Dazu müssen die Landkreise auf der Grundlage des Landespflegeplans eigene Kreispflegepläne erstellen (§ 4 Abs. 1 LPflG) und den Leistungs-erbringern eine Planungssicherheit ermöglichen.
Eine wirksame Möglichkeit der kommunalen Einflussnahme auf die Gestaltung und Weiterentwicklung der Pflegeinfrastruktur ist mit der Abschaffung der Pflegeheimförderung zum Ende des Jahres 2010 weggefallen. Für Landkreise und Kommunen stellt sich damit verschärft die Frage, wie sie in Zukunft ihrer Versorgungsverantwortung nachkommen und ihre sozialpolitischen Ziele im Bereich Pflege- und Seniorenpolitik umsetzen können. Dies gilt besonders für das Vor- und Umfeld der stationären Pflege sowie für ländlich geprägte Regionen; zwei Bereiche, in denen private Investoren wegen unsicherer Gewinnaussichten eher zögerlich investieren.
Hauptträger der politischen Verantwortung für eine funktionierende Infrastruktur bleiben letztlich auch in unserem Landkreis die Kommunen, denn hier sind die Wohn- und Lebensorte der älteren Bürgerinnen und Bürger. Kommunales Handeln orientiert sich stets am Sozialraum und verfolgt das Ziel, die gesellschaftliche Teilhabe aller Einwohner am Wohnort zu ermöglichen. Da die Kommunen dies jedoch kaum alleine schultern können, sind interkommunale Kooperationen und eine koordinierende Unterstützung auf Kreisebene notwendig.
Die Zuständigkeiten, Bezugspunkte, Gestaltungsspielräume und Interessen des Landkreises Tuttlingen an einer funktionierenden Versorgungslandschaft sind umfassend. Beginnend mit der Leistungsträgerschaft für die Hilfe zur Pflege, der Eingliederungshilfe für Senioren mit Behinderung, der Pflegeberatung im Rahmen des Pflegestützpunktes, familienentlastende und familienunterstützende Hilfen, des bürgerschaftlichen Engagements und der Selbsthilfe, des kommunalen Krankenhauses und des öffentlichen Gesundheitsdienstes, der rechtlichen Betreuung, der Heimaufsicht bis hin zum Öffentlichen Personennahverkehr.
Diese vielfältigen Zuständigkeiten und Bezüge bilden den Hintergrund für die Forderung der kommunalen Spitzenverbände, die eine Stärkung der Rolle der Kommunen in der Pflege- und Altenhilfe gefordert haben und die nun auch mit dem zum 1.1.2017 geplanten „Pflegestärkungsgesetz III“ erreicht werden soll.

Seniorenpolitik ist nicht zuletzt im Eigeninteresse des Landkreises eine zu gestaltende Zukunftsaufgabe, die nur gemeinsam mit Städten und Gemeinden angegangen werden kann. Dabei gilt es die Lebenswirklichkeit und die Wünsche der (zukünftigen) Senioren in den Blick zu nehmen, Probleme klar anzusprechen, ungelöste Fragen zu stellen und Grenzen aufzuzeigen.
Die Gestaltungsspielräume kommunaler Seniorenpolitik sind dabei strukturell begrenzt und von anderen (übergeordneten) Entscheidungsträgern abhängig. Als Probleme sind hierzu beispielsweise das weitere Absenken des Rentenniveaus oder die zunehmende Spekulation der Finanzindustrie mit Pflegeleistungen anzusehen. Ebenso ist es im Sinne einer wirksamen und integrierten Sozialplanung notwendig, in der allgemeinen Perspektivplanung ländlicher Räume an Beachtung und Einfluss zu gewinnen.
In diesem Sinne ist eine wichtige Kernbotschaft der vorliegenden Konzeption, dass der Sozialstaat trotz aller Bemühungen, beachtlicher finanzieller Aufwendungen und zukünftiger (Modell-)Projekte zusehends an seine Grenzen kommt. Eine Vollkaskomentalität als Anspruchshaltung gegenüber der staatlichen Gemeinschaft ist nicht angemessen. Eigenverantwortung und Selbsthilfe sind auch hier mehr und mehr gefordert. Letztlich richtet sich die mögliche Versorgungsqualität daran aus, wie stark sich Familien, Nachbarschaften und soziale Netzwerke in die Betreuung und Pflege einbringen und welche Werte in unserer Gesellschaft handlungsleitend vorherrschen und den Senioren entgegengebracht werden. Die vorliegende Rahmenkonzeption setzt wichtige Impulse für eine aktive Seniorenpolitik und lädt zur weiteren Mitarbeit ein.


In den nächsten Wochen soll der Bericht nun veröffentlicht und diskutiert werden. Als Ergebnis des Dialogprozesses und im Rahmen eines „Seniorenpolitischen Gipfels“ soll aus den Handlungsempfehlungen ein konkretes und verbindliches Handlungskonzept entstanden sein, in dem auch die Rolle und die Aufgaben der Kommunen und des Landkreises vereinbart werden.