Inhalt

Seniorenpolitische Konzeption

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Von der Kreispflegeplanung zur kommunalen Seniorenpolitik - Eine Zukunftsaufgabe

Beginnend mit der Einführung der Pflegeversicherung im Jahre 1995 hat sich die Pflegelandschaft in Deutschland grundlegend gewandelt. Die pflegerische Versorgung der Bevölkerung sollte sich durch den freien Markt regeln und viele neue gemeinnützige und kommerzielle Akteure sind hinzugekommen.
Gleichzeitig tragen die Kommunen im Rahmen der Daseinsfürsorge aber weiterhin die gesetzliche Verantwortung für eine an den örtlichen Bedürfnissen orientierte, leistungsfähige, regional gegliederte, wohnortnahe und aufeinander abgestimmte ambulante und stationäre pflegerische Versorgung der Bevölkerung. Dazu müssen die Landkreise auf der Grundlage des Landespflegeplans eigene Kreispflegepläne erstellen (§ 4 Abs. 1 LPflG) und den Leistungs-erbringern eine Planungssicherheit ermöglichen.
Eine wirksame Möglichkeit der kommunalen Einflussnahme auf die Gestaltung und Weiterentwicklung der Pflegeinfrastruktur ist mit der Abschaffung der Pflegeheimförderung zum Ende des Jahres 2010 weggefallen. Für Landkreise und Kommunen stellt sich damit verschärft die Frage, wie sie in Zukunft ihrer Versorgungsverantwortung nachkommen und ihre sozialpolitischen Ziele im Bereich Pflege- und Seniorenpolitik umsetzen können. Dies gilt besonders für das Vor- und Umfeld der stationären Pflege sowie für ländlich geprägte Regionen; zwei Bereiche, in denen private Investoren wegen unsicherer Gewinnaussichten eher zögerlich investieren.
Hauptträger der politischen Verantwortung für eine funktionierende Infrastruktur bleiben letztlich auch in unserem Landkreis die Kommunen, denn hier sind die Wohn- und Lebensorte der älteren Bürgerinnen und Bürger. Kommunales Handeln orientiert sich stets am Sozialraum und verfolgt das Ziel, die gesellschaftliche Teilhabe aller Einwohner am Wohnort zu ermöglichen. Da die Kommunen dies jedoch kaum alleine schultern können, sind interkommunale Kooperationen und eine koordinierende Unterstützung auf Kreisebene notwendig.
Die Zuständigkeiten, Bezugspunkte, Gestaltungsspielräume und Interessen des Landkreises Tuttlingen an einer funktionierenden Versorgungslandschaft sind umfassend. Beginnend mit der Leistungsträgerschaft für die Hilfe zur Pflege, der Eingliederungshilfe für Senioren mit Behinderung, der Pflegeberatung im Rahmen des Pflegestützpunktes, familienentlastende und familienunterstützende Hilfen, des bürgerschaftlichen Engagements und der Selbsthilfe, des kommunalen Krankenhauses und des öffentlichen Gesundheitsdienstes, der rechtlichen Betreuung, der Heimaufsicht bis hin zum Öffentlichen Personennahverkehr.
Diese vielfältigen Zuständigkeiten und Bezüge bilden den Hintergrund für die Forderung der kommunalen Spitzenverbände, die eine Stärkung der Rolle der Kommunen in der Pflege- und Altenhilfe gefordert haben und die nun auch mit dem zum 1.1.2017 geplanten „Pflegestärkungsgesetz III“ erreicht werden soll.

Seniorenpolitik ist nicht zuletzt im Eigeninteresse des Landkreises eine zu gestaltende Zukunftsaufgabe, die nur gemeinsam mit Städten und Gemeinden angegangen werden kann. Dabei gilt es die Lebenswirklichkeit und die Wünsche der (zukünftigen) Senioren in den Blick zu nehmen, Probleme klar anzusprechen, ungelöste Fragen zu stellen und Grenzen aufzuzeigen.
Die Gestaltungsspielräume kommunaler Seniorenpolitik sind dabei strukturell begrenzt und von anderen (übergeordneten) Entscheidungsträgern abhängig. Als Probleme sind hierzu beispielsweise das weitere Absenken des Rentenniveaus oder die zunehmende Spekulation der Finanzindustrie mit Pflegeleistungen anzusehen. Ebenso ist es im Sinne einer wirksamen und integrierten Sozialplanung notwendig, in der allgemeinen Perspektivplanung ländlicher Räume an Beachtung und Einfluss zu gewinnen.
In diesem Sinne ist eine wichtige Kernbotschaft der vorliegenden Konzeption, dass der Sozialstaat trotz aller Bemühungen, beachtlicher finanzieller Aufwendungen und zukünftiger (Modell-)Projekte zusehends an seine Grenzen kommt. Eine Vollkaskomentalität als Anspruchshaltung gegenüber der staatlichen Gemeinschaft ist nicht angemessen. Eigenverantwortung und Selbsthilfe sind auch hier mehr und mehr gefordert. Letztlich richtet sich die mögliche Versorgungsqualität daran aus, wie stark sich Familien, Nachbarschaften und soziale Netzwerke in die Betreuung und Pflege einbringen und welche Werte in unserer Gesellschaft handlungsleitend vorherrschen und den Senioren entgegengebracht werden. Die vorliegende Rahmenkonzeption setzt wichtige Impulse für eine aktive Seniorenpolitik und lädt zur weiteren Mitarbeit ein.


In den nächsten Wochen soll der Bericht nun veröffentlicht und diskutiert werden. Als Ergebnis des Dialogprozesses und im Rahmen eines „Seniorenpolitischen Gipfels“ soll aus den Handlungsempfehlungen ein konkretes und verbindliches Handlungskonzept entstanden sein, in dem auch die Rolle und die Aufgaben der Kommunen und des Landkreises vereinbart werden.

 

1. Bevölkerungsentwicklung

Aus den demografischen Daten und aus den Erkenntnissen über die Entwicklung der Lebensumstände ergeben sich grundlegende Informationen für die Sozialplanung für Senioren. Die demografische Entwicklung in den letzten Jahren ist durch eine Zunahme der älteren und einen gleichzeitigen Rückgang der jüngeren Bevölkerung gekennzeichnet. Die zentralen Ursachen dieser Entwicklung sind eine pro Jahr um rund zwei Monate steigende Lebenserwartung einerseits und abnehmende Geburtenzahlen andererseits, aber auch das Hineinwachsen der geburtenstarken Jahrgänge in höhere Altersgruppen. Während die Alterung alle Städte und Gemeinden gleichermaßen trifft, verläuft der Rückgang der Bevölkerung regional sehr unterschiedlich.
Im Folgenden werden die aktuellen Bevölkerungsdaten und die aus heutiger Sicht wahrscheinlichen künftigen demografischen Veränderungen bis zum Jahr 2030 in Baden-Württemberg, im Landkreis Tuttlingen und in den Gemeinden des Landkreises auf der Basis der aktuellen Daten des Statistischen Landesamtes dargestellt.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den Vorausrechnungen in die Zukunft um wahrscheinliche Entwicklungen handelt. Die Berechnungen werden mit jedem zusätzlichen Jahr, das vom Basisjahr entfernt ist, unsicherer.

1.1 Allgemeine Bevölkerungsentwicklung im Landkreis Tuttlingen

1.2 Entwicklumg und Zusammensetzung der Bevölkerung in den Gemeinden

2. Lebenslagen von Senioren

Neben den demografisch bedingten gesellschaftlichen Veränderungen und der Verlängerung der Lebensphase „Alter“ haben sich auch die Lebenslagen von älteren Menschen verändert und ausdifferenziert. Mit dem Begriff Lebenslage meint die Sozialwissenschaft verschiedene Dimensionen, wie zum Beispiel Einkommen, Bildung, Wohnsituation, Gesundheit und soziale Einbindung. Im Folgenden werden ausgewählte Dimensionen der Lebenslage älterer Menschen beschrieben.

2.1 Familien- und Haushaltsformen

2.2 Einkommenssituation

2.3 Pflegebedürftigkeit

3. Sozialhilfe in Pflegeheimen - Hilfe zu Pflege

Pflegeheimbewohner, denen ihr eigenes Einkommen und Leistungen aus der Pflegeversicherung zur Finanzierung des stationären Aufenthalts nicht ausreichen, erhalten Sozialhilfeleistungen, d.h. Hilfe zur Pflege. Zum Stichtag 31.12.2015 waren dies 225 Menschen im Alter über 65 Jahren. Ausgehend von knapp 210 Menschen im Jahr 2009 ist die Zahl um 7,1 Prozent gestiegen. Bezogen auf die Zahl der Einwohner im Alter über 65 Jahren gab es in den vergangenen Jahren wenig Veränderung. Erst zwischen 2013 und 2014 gab es einen leichten Anstieg.

Abbildung 5: Leistungsempfänger der vollstationären Hilfe zur Pflege über 65 Jahren absolut und bezogen auf 1.000 Einwohner über 65 Jahren 2009 bis 2015

Gemäß der Pflegestatistik erhielten 24 Prozent aller Pflegeheimbewohner6 im Alter über 65 Jahren Hilfe zur Pflege, d.h. für jeden 4. Heimbewohner im Landkreis Tuttlingen bezahlt das Sozialamt die Heimkosten ergänzend oder komplett. In Baden-Württemberg liegt der Anteil geringfügig höher bei 26 Prozent.

Abbildung 6: Nettoaufwand für Leistungen an Empfänger von vollstationärer Hilfe zur Pflege pro Leistungsempfänger sowie pro Einwohner im Landkreis Tuttlingen 2009 bis 2015

Der Nettoaufwand für Hilfe zur Pflege im Landkreis Tuttlingen betrug im Jahr 2015 4,1 Millionen Euro. Seit 2008 ist der entsprechende Aufwand von 2,6 Millionen um 1,5 Millionen gestiegen. Dies entspricht einer Zunahme um knapp 58 Prozent.
Aussagekräftiger als der Nettoaufwand insgesamt ist sein Bezug zur Gesamtbevölkerung. Durchschnittlich wurden im Jahr 2015 im Landkreis Tuttlingen 30,20 Euro je Einwohner für die Hilfe zur Pflege ausgegeben (der Durchschnitt der Landkreise in Baden-Württemberg lag bei rund 29,00 Euro). Seit dem Jahr 2009 hat der Aufwand pro Einwohner stetig zugenommen. 2009 lag dieser noch bei 21,60 Euro je Einwohner. Die steigende Kennzahl von 2009 bis 2011 ist bei einer relativ gleichbleibenden Anzahl an Hilfeempfängern in diesem Zeitraum auf die leicht rückläufige Einwohnerzahl im Landkreis Tuttlingen zurückzuführen (siehe Abbildung 5). Die steigende Kennzahl von 2013 auf 2015 spiegelt hingegen die Zunahme der Hilfeempfänger in diesem Zeitraum wider.
Mit Einführung des Pflegestärkungsgesetzes (PSG II) gilt ab dem 01.01.2017 in jeder vollstationären Pflegeeinrichtung ein einheitlicher pflegebedingter Eigenanteil für die Pflegegrade (PG) 2 bis 5, d.h. der Eigenanteil steigt künftig nicht mehr mit zunehmender Pflegebedürftigkeit. Unberücksichtigt bleibt dabei allerdings, dass die neu in PG 2 oder darunter eingestuften Pflegebedürftigen aufgrund der reduzierten Leistungshöhe den voraussichtlich erheblich angestiegenen Eigenanteil selbst tragen müssen, da eine Kostenübernahme durch die Sozialhilfe rechtlich nicht möglich ist und die Betroffenen aus finanziellen Gründen wahrscheinlich keine vollstationäre Betreuung in Anspruch nehmen können. Dies könnte zur Folge haben, dass sich die Bewohnerstruktur in den Pflegeheimen verschieben wird. Sehr wahrscheinlich werden zukünftig überwiegend Bewohner mit hohem Unterstützungsbedarf in vollstationären Einrichtungen leben, während Pflegebedürftige mit PG 0, 1 und ggfs. auch 2 aus finanziellen Gründen ambulant versorgt werden müssen.
Aufgrund des zukünftigen einheitlichen Eigenteils in Höhe von rund 2.200 Euro, ist mit einer Zunahme der Leistungsberechtigen auf Hilfe zur Pflege im Umfang von 30 bis 35 % zu rechnen. Demnach stiegen die Zahlen im Landkreis Tuttlingen von 221 Personen auf ca. 300 Personen und die Kosten von 4,1 Millionen auf ca. 5,4 Millionen an.


6 Die Pflegestatistik berücksichtigt Pflegeheimbewohner in Pflegestufe 0 nicht.

Handlungsempfehlungen

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4. Wohnen mit und ohne Unterstützungsbedarf in der eigener Häuslichkeit

Für die Beschreibung und Bewertung der Lebensumstände von Senioren sind die Wohnverhältnisse und das Wohnumfeld von zentraler Bedeutung. Dies ist einleuchtend, wenn man bedenkt, dass die in der Wohnung verbrachte Zeit mit zunehmendem Alter kontinuierlich ansteigt. Die Wohnung wird im Alter zum Aufenthaltsort schlechthin und damit zum wichtigsten „Wahrnehmungs-, Handlungs- und Gefühlsraum“.7 Hier ist der Ort für Sicherheit, Geborgenheit und Regeneration, von dem aus man die Umwelt erlebt und eigene Aktivitäten entfaltet. Wohnen und Wohnumfeld sind die wesentlichen Umweltfaktoren, mit denen ein gelingendes Altern in enger Wechselwirkung steht.8

Ältere Menschen möchten so lange wie möglich selbständig in ihrer Wohnung leben. Einen eigenen Haushalt zu führen wird als entscheidende Voraussetzung dafür gesehen, dass ein selbstbestimmtes Leben nach individuellen Vorstellungen möglich ist. Selbständiges, privates Wohnen wird auch dann bevorzugt, wenn gesundheitliche oder sonstige altersbedingte Beeinträchtigungen bis hin zu umfassender Hilfe- und Pflegebedürftigkeit gegeben sind. So überrascht es nicht, dass derzeit fast 96 Prozent aller Menschen im Alter über 65 Jahren in Deutschland in einem privaten Haushalt leben. Auch in der Altersgruppe über 80 Jahren liegt der Anteil noch über 80 Prozent. Das Deutsche Zentrum für Altersfragen geht deshalb davon aus, dass 2/3 aller Menschen in einem Privathaushalt alt werden.9

Wird Pflege und Unterstützung benötigt, sind dies zu Beginn meist punktuelle Hilfen im Haushalt. Diese werden häufig von der Familie, anderen Verwandten oder Freunden erbracht. Als Reaktion auf den wachsenden Bedarf an Dienstleistungen rund um Haushalt und Wohnen haben Kommunen und Kirchen Nachbarschaftshilfen gegründet sowie Wohlfahrtsverbände und private gewerbliche Anbieter sogenannte haushaltsnahe Dienstleistungen in ihr Angebots-spektrum aufgenommen. Weitere Formen allgemeiner Unterstützungsdienste sind der Hausnotruf und Mahlzeitendienste wie zum Beispiel das „Essen auf Rädern“. Beides wird sowohl von Wohlfahrtsverbänden als auch privatgewerblich angeboten.

Wenn ältere Menschen pflegebedürftig werden, findet die Pflege zu Beginn meist zu Hause statt. Häusliche Pflege, die von Angehörigen, Freunden oder Nachbarn ohne professionelle Hilfe erbracht wird, ist die häufigste Unterstützungsform für pflegebedürftige Menschen. Aktuell werden rund 52 Prozent aller Pflegebedürftigen im Landkreis Tuttlingen privat gepflegt und erhalten dafür Pflegegeld von der Pflegeversicherung. Allerdings werden die familiären Hilfe- und Unterstützungsnetze aufgrund der verschiedenen Ausprägungen des gesellschaftlichen Wandels (u.a. Singularisierungstendenzen mit sinkenden Eheschließungs- und steigenden Scheidungszahlen, Trend zu wachsenden Entfernungen zwischen Eltern- und Kinder-haushalten, Rückgang der durchschnittlichen Kinderzahl) voraussichtlich geringer werden. Gleichzeitig nimmt der Bedarf an Pflege- und Unterstützungsleistungen zu. Der Ausbau außerfamiliärer informeller Hilfe- und Unterstützungssysteme, z.B. in Form von Nachbarschaftshilfe gewinnt daher ebenso wie professionelle Pflege- und Unterstützungs-leistungen an Bedeutung. In der häuslichen Pflege ist die Überforderung der Betreuungs-personen nicht selten, woraus u.a. unzureichende Versorgungssituationen resultieren können. Daher sind neben der Sensibilisierung für diese Problematik auch geeignete Unterstützungs-angebote wie beispielsweise die aufsuchende Beratung, Pflegekurse, Entlastungsangebote für pflegende Angehörige unverzichtbar.

Für die Gemeinden und den Landkreis bedeutet dies in Hinsicht auf die kommunale Daseinsversorgung ein Vorhalten und Sicherstellen einer differenzierten Versorgungsstruktur.


7 Saup, Winfried, 1999: Alte Menschen in ihrer Wohnung: Sichtweisen der ökologischen Psychologie und Gerontologie, in: Wahl, Hans-Werner/Mollenkopf, Heidrun/Oswald, Frank: Alte Menschen in ihrer Umwelt. Heidelberg, S. 44.

8 Saup, Winfried, 1999: Alte Menschen in ihrer Wohnung: Sichtweisen der ökologischen Psychologie und Gerontologie, in: Wahl, Hans-Werner/Mollenkopf, Heidrun/Oswald, Frank: Alte Menschen in ihrer Umwelt. Heidelberg, S. 49.

9 DZA-Report: Altersdaten 3/2013: Lebensformen und Paarbeziehungen älterer Menschen.

4.1 Pflegeberatung

4.2   Wohnung und Wohnumfeld

4.2.1 Wohnen ohne Barrieren

4.2.2 Technikunterstützung in Wohnung und Wohnumfeld

4.3 Entlastungsangebote für Angehörige

4.3.1 Betreutes Wohnen zu Hause

4.3.2 Tagespflege

4.3.3 Kurzzeitpflege

4.3.4 Nachtpflege

4.4 Organisierte Nachbarschaftshilfe - Ehrenamt

4.5 Ambulante Pflegedienste

4.6 Qualitätsgesicherte häusliche Tagespflege

4.7 Unterstützung durch ausländische Haushaltshilfen

Handlungsempfehlungen

5. Wohnen mit Unterstützungsbedarf außerhalb der eigenen Häuslichkeit - Unterstützte Wohnformen

Der Wunsch nach einem Verbleib in den „eigenen vier Wänden“, wie er heute von den meisten Menschen geäußert wird, kann viele Herausforderungen mit sich bringen. Sind die altersbedingten Beeinträchtigungen so groß, dass der ältere Mensch nur noch selten aus der Wohnung kommt oder wird das eigene Haus aufgrund der Größe, der Lage oder auch aus finanziellen Gründen zu einer Belastung, drohen Vereinsamung und Überforderung. In diesem Spannungsfeld kann die Lösung in einem Umzug in eine seniorengerechte Wohnung bestehen. Sie ermöglicht den Verbleib im gewohnten sozialen Umfeld und den Anschluss an eine vertraute Gemeinschaft.

Aber auch weitere Gründe können dazu führen, dass trotz häuslicher und ambulanter Pflege, die Versorgung in der angestammten Wohnung nicht mehr gewährleistet und organisiert werden kann. Dies kann bei einem erhöhten Pflegebedarf vorliegen, bei einer erheblichen eingeschränkten Mobilität, bei Orientierungslosigkeit, bei fehlender Unterstützung innerhalb der Familie oder mangelnde Sozialkontakte und Bezüge.

Um eine spätere stationäre Pflege zu vermeiden, machen sich zunehmend mehr Menschen vorsorglich Gedanken und wollen initiativ werden.

Zunehmend suchen auch Kommunen nach alternativen Wohn-und Betreuungsformen für ihre Senioren, um ihnen ein entsprechendes Angebot zum Verbleib in der Gemeinde machen zu können und setzen dabei nicht nur auf stationäre Einrichtungen.

Entsprechend dem Grad und der Intensivität der notwendigen Unterstützung sind unterschiedliche unterstützende Wohnformen möglich. Sie reichen von einer betreuten Seniorenwohnanlage bis hin zur Dauerpflege in einem stationären Pflegeheim.

5.1 Betreute Seniorenwohnanlagen

5.2 Hausgemeinschaften und Mehrgenerationenwohnen

5.3 Sozialraumbezogene und integrierte Wohn- und Pflegekonzepte

5.4 Neue Wohnformen im Rahmen des Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetzes (WTPG)

5.5 Wohnen in Gastfamilien

5.6 Stationäre Pflegeeinrichtungen

6. Menschen in Pflegeberufen

Die Gewinnung und Qualifizierung von Personal wird eine der zentralen Herausforderungen in der ambulanten und stationären Pflege in der Zukunft sein.

Basierend auf den Daten des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg standen im Landkreis Tuttlingen im Jahr 2013 für insgesamt 3.642 Pflegebedürftige in den stationären und ambulanten Einrichtungen 1355 Beschäftigte zur Verfügung. Die Zahl der Beschäftigten hat gegenüber dem Jahr 2011 um 136 Beschäftigten oder 11,2 Prozent zugenommen, gegenüber dem Jahr 2003 betrug die Zunahme 417 Personen und damit 44,5 Prozent. Im Vergleich zur Entwicklung in Baden-Württemberg war der prozentuale Anstieg im Landkreis Tuttlingen höher. Verantwortlich dafür war vor allem die Zunahme der Beschäftigten in der stationären Pflege. Dieser Anstieg ist darauf zurückzuführen, dass in den letzten Jahren weitere Dauerpflegeplätze im Landkreis Tuttlingen geschaffen wurden.

Abbildung 9: Zunahme des Pflegepersonals von 2011 auf 2013 in Baden-Württemberg und im Landkreis Tuttlingen

Im Bereich der Pflege wird deutschlandweit ein flächendeckender Fachkräftemangel an examiniertem Pflegepersonal festgestellt und vorhergesehen. Nach einer Modellrechnung des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg wird sich der Pflegekräftebedarf von 2011 bis zum Jahr 2030 voraussichtlich um 53.000 Personen erhöhen. Dies entspricht einer Steigerung von 45 Prozent.21 Die Berechnung ergibt für den Landkreis Tuttlingen einen zusätzlichen Bedarf an Pflegekräften bis zum Jahr 2030 von rund 600 Personen.

Schwierigkeiten bei der Besetzung offener Stellen ergeben sich aus unterschiedlichen Gründen. Genannt werden häufig die geringe Attraktivität von Pflegeberufen bei gleichzeitig anspruchsvoller und anstrengender Tätigkeit sowie die beruflichen Rahmenbedingungen (Schicht- und Wochenenddienst, Arbeitsbelastung und Bezahlung), aber auch ein schlechtes öffentliches Image von Pflegeberufen. In diesem Zusammenhang sind ein tariflich vereinbarter Lohn, eine angemessene Arbeitsbelastung, die den Pflegekräften genügend Zeit für die Versorgung der älteren Menschen einräumt sowie gute Arbeitsbedingungen (eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Reduzierung von unfreiwilliger Teilzeit) wichtige Kriterien zur Steigerung der Attraktivität des Pflegeberufs.22

Angesichts der Zunahme der Einpersonenhaushalte, der gestiegenen gesellschaftlichen Mobilität und damit einhergehenden zunehmenden räumlichen Distanz zwischen Eltern und Kindern sowie einer höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen ist davon auszugehen, dass pflegebedürftige Menschen künftig weniger Unterstützung aus dem unmittelbaren familiären Umfeld erhalten und sich somit die Tendenz zu professioneller Pflege in Zukunft verstärken wird. Eine Verschärfung der Situation ist darüber hinaus infolge der Überlastung des vorhandenen Personals im Zuge wachsender Anforderungen in der Pflege und eines gleichzeitig steigenden Altersdurchschnitts der Pflegefachkräfte zu erwarten.23

Lösungsansätze für den zunehmenden Fachkräftemangel in der Pflege werden auf breiter Basis diskutiert, sind derzeit aber noch nicht absehbar.

Im Bereich Ausbildung und Qualifizierung gibt es einige Initiativen auf Bundes- und Landesebene. Zielsetzung der Initiativen sind die Erhöhung der Ausbildungskapazitäten, Erleichterung von Weiterqualifizierungen, die Förderung von Umschulungen sowie die Erleichterung des Zugang zu Ausbildung und Beruf von jungen Menschen mit Migrationshintergrund.

In Ergänzung zu den Pflegeberufen werden in Baden-Württemberg niederschwellige Ausbildungen im Vor- und Umfeld von Pflege erprobt. Dazu zählen die Ausbildung zur „Alltagsbetreuung“ sowie die Ausbildung zum „Servicehelfer“.

Weitreichende Veränderungen im Ausbildungsbereich könnten sich durch eine geplante generalistische Ausbildung24 ergeben. Die Zusammenführung der bislang getrennten Ausbildungen zur Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege stößt in der Fachwelt jedoch nicht nur auf positive Resonanz. Insbesondere Vertreter aus der Altenhilfe befürchten durch die Zusammenlegung der Ausbildungsgänge, dass viele Absolventen im Anschluss überwiegend in den finanziell lukrativeren Bereichen, wie Kliniken und Krankenhäuser, arbeiten und dadurch noch weniger Personal der Altenhilfe zur Verfügung steht.25

Die Einrichtungen und Pflegedienste im Landkreis Tuttlingen befürchten zudem einen Kompetenzverlust in jedem der drei Pflegeberufe sowie eine fehlende Bindung an einen Ausbildungsbetrieb.

Neben Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität der Ausbildung und Qualifizierung in der Altenpflege wird zunehmend auf die Rekrutierung von Fachkräften aus dem Ausland gesetzt. Heutzutage arbeiten in der Altenpflege Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern, überwiegend kommen sie aus wirtschaftlichen Gründen aus Mittel-, Ost- und Südeuropa[6]. Mittlerweile gibt es auch offizielle Anwerbevereinbarungen mit Nicht-EU-Ländern und Drittstaaten, wie beispielsweise mit China, Vietnam, Tunesien, Serbien, Bosnien-Herzegowina und den Philippinen. Dabei wird zwischen der Rekrutierung ausgebildeter Pflegefachkräfte und Programmen, die eine Pflegeausbildung in Deutschland ermöglichen, unterschieden.


21 Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, 2014: Statistik aktuell. Pflegebedürftige in Baden-Württemberg. Stuttgart.

22 Für gute Perspektiven sorgen, in: Altenheim. Lösungen fürs Management. Heft 3/2016, S. 24.

23 Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), Pressemitteilung vom 14.02.2012.

24 https://www.gfg-rostock.de/images/newsletter/3-15/Infos-Generalistische-Ausbildung-Gesetzentwurf. pdf

25 Enquetekommission, 2016: „Pflege in Baden-Württemberg zukunftsorientiert und generationengerecht gestalten“. Kurzfassung zum Abschlussbericht der Enquetekommission mit Handlungsempfehlungen. Landtag Baden-Württemberg.

26 Durch die Umsetzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist es Bürgern aus EU-Mitgliedstaaten, den übrigen Ländern des Europäischen Wirtschaftsraums sowie der Schweiz erlaubt, eine Arbeit ohne die Erteilung einer gesonderten Aufenthaltserlaubnis aufzunehmen.

Handlungsempfehlungen

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7. Besondere Zielgruppen

In der Vergangenheit konnte sich die Altenhilfeplanung an einer klassischen „Durchschnittsbiographie“ orientieren und damit den Bedarfen von Seniorinnen und Senioren gerecht werden. Aufgrund verschiedener gesellschaftlicher Entwicklungen und einer Individualisierung von Lebenslagen, sind nunmehr verschiedenste Zielgruppen gesondert in den Blick zu nehmen und entsprechende Angebote zu entwickeln.

Aus der Praxis der Pflegeberatung heraus werden drei Zielgruppen gesehen, für deren Versorgung ein besonderer Handlungsbedarf besteht: Senioren mit Migrationshintergrund, Senioren mit Behinderungen und Senioren mit demenziellen Erkrankungen.

7.1 Senioren mit Migrationshintergrund

7.2 Senioren mit Behinderungen (Eingliederungshilfe nach dem SGB XII)

7.3 Senioren mit demenziellen Erkrankungen

Handlungsempfehlungen

8. Beratung, Vernetzung, Koordination, Steuerung

Insbesondere die Städte und Gemeinden sind als Wohn- und Lebensorte wesentliche Garanten für die Lebensqualität und einen möglichst langen Verbleib pflegebedürftiger Menschen im vertrauten häuslichen Umfeld. Gleichzeitig verfügen sie derzeit nur über begrenzte Einflussmöglichkeiten und häufig unzureichende finanzielle Spielräume.,37

Politik und Fachwelt haben die aktuellen Herausforderungen in der Altenhilfe erkannt und wollen die Planungs- und Steuerungskompetenzen der Kommunen in der Pflege stärken. In Bezug auf Beratung, Koordination und Steuerung sollen die Gestaltungmöglichkeiten der Kommunen verbessert werden. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Beteiligung kommunaler Vertreter hat im Jahr 2015 Handlungsbedarfe und Empfehlungen für notwendige Veränderungen auf Bundes- und Landesebene formuliert.38 Diese werden im Abschlussbericht der Enquetekommission „Pflege in Baden-Württemberg zukunftsorientiert und generationen-gerecht gestalten“ aufgegriffen39 und finden ihren Niederschlag im Gesetzentwurf zum Pflegestärkungsgesetz III, welches zum 1.1.2017 in Kraft treten soll.

Vor allem kleinere Kommunen können nicht alle Aufgaben der Daseinsvorsorge alleine bewältigen. Interkommunale Kooperationen und eine koordinierende Unterstützung auf Kreis- und Landesebene können bei der Aufgabenbewältigung helfen.

Im Landkreis Tuttlingen übernehmen der Pflegestützpunkt zusammen mit der Altenhilfefach-beratung, dem Seniorenbüro der Stadt Tuttlingen sowie dem Kreisseniorenrat koordinierende Funktionen in der Seniorenarbeit. Ein wichtiger Schritt in der letzten Zeit war dabei eine Befragung der Kommunen im Frühjahr 2016, um Ist-Bestände und Bedarfe zu ermitteln.

 

"Welche Visionen haben Sie für Ihre Kommune,
     insbesondere für Ihre älteren Mitbürger im Jahr 2030 +"

Ausbau von Wohn- und Pflegeangeboten vor Ort
................................................................ 18
Gründung einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft bzw. alternative Wohnformen zur vollstationären Pflegeeinrichtung
.................................................................. 8
Generationsübergreifende Angebote und Begegnungsmöglichkeiten
.................................................................. 5
Gründung eines Nachbarschaftshilfevereins
.................................................................. 4
Verbesserung des ÖPNV für Senioren
.................................................................. 3
Bau einer Tagespflegeeinrichtung
.................................................................. 3
Schaffung einer Stelle "Seniorenbeauftragter der Gemeinde"
.................................................................. 2

Tabelle 4: Visionen der Kommunen im Rahmen der Befragung der Altenhilfefachberatung


37 Land und Kommunen verfügten bis Ende 2010 durch die Förderung der Investitionskosten für bedarfsgerechte teil- und vollstationäre Pflegeeinrichtungen noch über eine Möglichkeit, den bedarfsgerechten Ausbau der Pflegeinfrastruktur mitzugestalten. Seit 2011 ist die Förderung durch eine Gesetzesänderung auf einzelne modellhafte Vorhaben begrenzt.

38 http://www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Downloads/E/Erklaerungen/BL-AG-Pflege-Gesamtpapier.pdf

39 Landtag von Baden-Württemberg: Drucksache 15/7980. Kurzfassung zum Abschlussbericht der Enquetekommission mit den Handlungsempfehlungen, S.44.

8.1 Pflegestützpunkt

8.2 Altenhilfeplanung

8.3 Beteiligung von Senioren - Kreisseniorenrat

Handlungsempfehlungen